Vielleicht konnten sich die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe anfangs am Donnerstag Abend bei 30 Grad etwas Besseres vorstellen als eine literarische Lesung, aber die szenische Darbietung des Briefromans „Adressat unbekannt“ der Autorin Kathrine Kressmann Taylor wusste die Jugendlichen im Verlauf des Abends mehr und mehr in ihren Bann zu ziehen. Michael Mombaur (Schulleiter der Marienschule Euskirchen) las die Briefe des fiktiven Charakters Martin Schulse, durch die der in Deutschland lebende Kunsthändler „arischen Blutes“ mit seinem Geschäftspartner und Freund Max Eisenstein kommuniziert, einem in den USA lebenden Juden (gelesen von Axel Gehring, dem Vorsitzenden des Amateurtheaterverbandes NRW). Schulse gerät sukzessive in den Sog des aufkommenden Nationalsozialismus der 1930er Jahre und gibt sich nach und nach dem manipulatorisch evozierten Wir-gefühl der Nationalsozialisten hin. Die (Brief)Freunde entzweien sich folglich zunehmend, bis durch diese fatale Entwicklung letzten Endes auch menschliche Opfer zu verzeichnen sind. Die packende Lesung wurde musikalisch untermalt durch den Klarinettisten Bernd Spehl, der sich auf Klezmer (jüdische Musik) spezialisiert hat. Im Anschluss an die Lesung kamen die Jugendlichen noch kurz in den Austausch mit den Darbietern des Romans aus dem Jahre 1938, der die Entwicklungen seiner Zeit messerscharf analysiert und daher damals in Deutschland verboten war. Während des Abschlussgesprächs kamen Fragen zum offen gelassenen Ausgang des Werks auf und einige diskutierten auch über die Moralfrage des menschlichen Zerwürfnisses. „Es war richtig gut, dass man das, was man im Geschichtskurs so lernt, einmal auf diese Weise hören konnte.“, äußerte eine Schülerin. Ein anderer lobte explizit die Musik, durch die man Zeit hatte, die emotionalen Zeilen der Briefe auch zu verarbeiten. Wesentlich ist wohl genau diese Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg und mit der Frage, wie sich faschistische Dogmen auf individuelle Werte und zwischenmenschliche Beziehungen auswirken können. Die Lesung sollte eines deutlich machen: Krieg ist kein Gegenstand der Vergangenheit, er ist eine akute und aktuelle Bedrohung, mit der man sich auseinandersetzen muss, um die Werte von Frieden und Freundschaft aufrechtzuerhalten. Schön, dass sich die rund 100 Jugendlichen der EF und Q1 an dem Abend, der freundlicherweise von der Friedrich-Naumann-Stiftung finanziert wurde, trotz der Hitze auf dieses wichtige Thema eingelassen haben.
Foto & Text: Stephanie Ewald
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